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Ein Gespräch mit Karin Schelzig

Karin Schelzig und Olivia Kantner 2016.j

Karin Schelzig (extreme left) with classmate Olivia Kantner and their respective daughters on a visit to Manila in 2016.  

Hier die Fragen, die ich nur als Anregung verstanden wissen möchte.  Die Reihenfolge ist eher unwichtig.  Es geht mir vor allem darum, Sie dazu zu bringen, die Erlebnisse zu schildern, die Sie als Mensch geprägt haben und die vielleicht mit dem besonderen Charakter unserer Schule und mit den Philippinen zu tun haben.  

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Wie kam es, dass Sie die Deutsche Schule Manila besucht haben und wie lange waren Sie dort?

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Meine Familie zog im Jahr 1985 nach Manila, als ich 12 Jahre alt war. Mein Vater Werner arbeitete bei der Asian Development Bank. Ich kam in die 9. Klasse der Deutschen Schule in Manila (damals bekannt als die Jose Rizal Schule) und blieb zwei Jahre, aber nur weil keine höheren Klassen angeboten wurden.  Meine drei Brüder Erik, Dieter & Jürgen gingen in die 5.., 4. und 2.. Klasse. Ich ging für das Schuljahr 1987/88 zur International School und absolvierte schließlich dort meine Ausbildung, aber meine Brüder blieben einige Jahre bei DSM.

Zu dieser Zeit befand sich die Schule noch im Viertel Valle Verde und es gab nur ungefähr 100 SchülerInnen. Mein Vater trat dem Vorstand als Schatzmeister und später als Vorstandsvorsitzender bei.  Er war ja “immerhin Vater von 4% der Schüler”, sagte Werner immer.

 

Haben die Schuljahre an der DSM Sie persönlich geprägt? Wären Sie ein anderer Mensch, wenn Sie die Erfahrungen dort nicht gemacht hätten?  Inwiefern? Gibt es ein Erlebnis, in dem dies zum Ausdruck kommt?

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Natürlich! Die DSM war eine tolle, kleine Schule mit einer eng verbundenen Gemeinschaft und großartigen Lehrern. Unsere Klassen waren klein - wir waren vielleicht 10-12 Kinder pro Klasse - was viel individuelle Aufmerksamkeit bedeutete. Ich denke, dass dies auch ein Gefühl der Zugehörigkeit geschaffen hat. Ich erinnere mich, wie die Schule und die Gemeinschaft während der People-Power-Revolution im Februar 1986, die letztendlich den Diktator Ferdinand Marcos stürzte, zusammenkamen. Klar musste die Schule wegen den bürgerlichen Unruhen schließen - zu der Zeit wusste niemand wirklich, was das Ergebnis sein würde -, aber sie konnte nicht auf unbestimmte Zeit geschlossen bleiben, deshalb wurde der Unterricht in Familienhäusern von DSM-Eltern in Forbes & Dasmarinas Village abgehalten. Meine Elternhaus wurde für die fünfte Klasse zur Verfügung gestellt, ich erinnere mich an die große Wandtafel, die in unserem Esszimmer aufgestellt wurde.  Der Unterricht meiner Klasse fand im Haus meiner Freundin Monica statt. Die Lehrer fuhren vom einen zum anderen Haus, um zu unterrichten. Das dauerte vielleicht 2 Wochen? Ich kann mir vorstellen, dass es für die Eltern und Lehrer wohl etwas stressig war, aber es war ziemlich aufregend für uns Kinder und machte Spaß. (Und zum Glück war es letztlich eine gewaltfreie Revolution mit einem positiven Ausgang für das Land.)

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Vorstand der DSM ca 1986.jpg

Neben der DSM hat auch das Aufwachsen auf den Philippinen einen unauslöschlichen Eindruck auf mich hinterlassen. Als deutsch-amerikanisches Kind, das in einem Entwicklungsland lebte, wurde mir schon in jungen Jahren die extreme Armut und Ungleichheit bewusst. Ich denk auch, dass ich mich deshalb später dem Studium der internationalen Entwicklungs- und Sozialpolitik zuwandte. Ich arbeite jetzt seit mehr als 20 Jahren in der Entwicklung mit Schwerpunkt auf Armut und Sozialer Schutz, wobei ich die letzten 14 Jahre in Südostasien verbracht und versucht habe, das Leben der Armen zum positiven zu verändern. Man könnte also sagen, dass meine Schulzeit auf den Philippinen großen Einfluss darauf hatte, wer ich bin und was ich heute mache.

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Welche Erfahrungen sind aus dieser Zeit am schönsten?

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Es gibt so viele. In der Schule mochte ich die Projektwoche, eine Woche mit sogenannten „Klassenzimmern ohne Wände“, in der die Kinder ein Thema auswählten und die Woche damit verbrachten, spannende Dinge zu tun. Kinder den 5. - 10. Klassen wurden zusammengemischt, je nachdem, welches Thema sie gewählt hatten. Ein Jahr haben wir das Them „Flughafen und die Zivilluftfahrt“ gehabt. Ich glaube, jemandes Vater war bei der Lufthansa tätig (die dazumals nach Manila geflogen ist!), und somit hatten wir alle Zugang zu Teilen von NAIA, die die meisten Menschen nie sehen. Etwas sagt mir, dass dies heute mit den strengeren Flughafensicherheitsregeln nicht mehr möglich wäre. Ein weiteres Jahr war es „Hotel & Restaurant Management“ und - wieder durch einen Elternteil eines Schülers, der der General Manager war - durften wir für eine Woche hinter die Kulissen im Peninsula Hotel schauen.

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Ich erinnere mich an unsere fantastische Klassenfahrt, eine Woche am Strand in Anilao mit Frau Stache, unserer Klassenlehrerin. Sporttag war ebenfalls immer ein Favorit. Und natürlich die verschiedenen Schulveranstaltungen für deutsche Feiertage, die immer alle zusammen gebracht haben.

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Außerhalb der Schule erinnere ich mich daran, dass wir viel Zeit mit Freunden verbracht haben, in der Nachbarschaft Fahrrad gefahren sind und Treffen in den Gärten der Nachbarn abgehalten haben. Wir gingen auf Familienreisen auf den Philippinen, sind bis zu den Bergen von Baguio und zu den Stränden von Batangas gefahren... alles in den Tagen vor Google Maps - wie haben meine Eltern das geschafft? : ) Ich erinnere mich, dass wir ein gut benutztes Buch namens „Luzon mit dem Auto entdecken“ hatten. In den Osterferien im Jahr 1986 waren wir zum ersten Mal in Boracay , als es noch ein erstaunliches Paradies auf einer Insel ohne Strom, mit Nipahütten und einem absolut unberührten Strand war. Wir waren so glücklich.

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Welche Konflikte und Herausforderungen mussten Sie überwinden?

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Kein Konflikt, aber definitiv eine Herausforderung: Als ich in der 10. Klasse war, beschloss die Schule, formale Mittlere Reife-Prüfungen einzuführen, mit Beamten, die aus Deutschland geschickt wurden, und mit schriftlichen und mündlichen Prüfungen vor einem Gremium von Gutachtern. Unsere Klasse war die erste Klasse, die diese Prüfung absolvieren musste, und ich erinnere mich, dass ich so nervös war! Aber am Ende ging alles gut, und es war eine fantastische Vorbereitung auf die IB-Prüfungen zwei Jahre später. 

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Eine weitere Herausforderung war die Zeit, in der die gesamte Schule - während eines Taifuns überflutet wurde und die Flure und Klassenzimmer in knietiefem Wasser lagen. Ich erinnere mich an Lehrer, welche mit bis über die Knie hochgerollten Hosen in den Fluren wateten.

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Würden Sie Ihre Kinder lieber in eine Schule wie die unsere oder in eine andere Schule schicken?

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Am liebsten hätte ich meine Tochter (Anna, jetzt 11) in eine deutsche Schule geschickt - leider gab es in Kambodscha, wo wir von 2008 bis 2014 gelebt haben, aber keine. Aber in vielerlei Hinsicht war das Leben in Phnom Penh zu dieser Zeit leichter und einfacher, und Anna hatte eine sehr ähnliche frühe Ausbildung in einem kleinen internationalen Kindergarten und später an der Internationalen Schule von Phnom Penh. Wie die DSM der 1980er Jahre war die ISPP eine kleine Schule mit einer sehr ähnlichen engen Gemeinschaft von Familien, Lehrern und Schulverwaltung, die ich sehr vermisse!

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Was ist Ihnen in Bezug auf Bildung und Erziehung besonders wichtig? Inwiefern haben Sie das damals bei der DSM gefunden?

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DSM war ein Ort, an dem ich mich immer wohl und zu Hause fühlte. Ich war das neue Kind in der 9. Klasse, was nicht immer einfach ist, aber die Anpassung war in einer kleinen, freundlichen Schule gar nicht so schwer. Ich habe gute Freunde gefunden und bin heute immer noch in Kontakt mit einigen von ihnen.  Ich erinnere mich daran, dass ich die Schule liebte, auch herausgefordert und von meinen Lehrern ermutigt wurde. Die DSM hat auch ihr Bestes getan, um Sport und Kunst zu fördern, vor allem Musik, indem sie zum ersten Mal eine Bandklasse einführte (ich entschied mich für das Saxophon). Jetzt bin ich selbst Mutter, und ich erziehe meine Tochter auf die gleiche Weise, wie ich aufgewachsen bin, als Third Culture Kid.  Ich hoffe, Ihre internationale Bildung und Erziehung machen sie zu einem zuversichtlichen, neugierigen, kreativen und liebevollen Menschen, welcher über globale Fragen und Probleme nachdenkt und eine internationale Perspektive hat Ich denke, ich habe viele dieser Dinge aus meiner Zeit an der DSM bekommen.

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DSM 9. Klasse 1985-86.jpg

Was bedeuten Ihnen heute die Philippinen als Land und die Menschen hier heute? 

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Ich lebte mehr als 30 Jahre zum grossen Teil auf den Philippinen und habe hier mehr Zeit verbracht als in irgendeinem anderen Land. Als ich zur Universität ging, blieben meine Eltern für weitere 10 Jahre in Manila, und so kamen meine Brüder und ich immer wieder nach Manila für die Ferien.  Ich habe Internationale Beziehungen, Entwicklungsstudien und Sozialpolitik studiert und am Ende PhD-Forschung über städtische Armut auf den Philippinen betrieben. In den späten 1990er Jahren verbrachte ich ein Jahr mit Feldarbeiten in einer informellen städtischen Siedlung entlang der Eisenbahnschienen in der Nähe von Magallanes. Ich trat der Asian Development Bank 2004 als junge Berufstätige bei und arbeite noch heute dort, mit Schwerpunkt auf Armutsproblemen in der Region und der Planung und Umsetzung großer Initiativen zum sozialen Schutz und zur Armutsbekämpfung wie dem bedingten Geldtransferprogramm Pantawid Pamilya, das fast 4,5 Millionen beduerftigen philippinischen Familien hilft, ihre Kinder gesundheitlich zu versorgen und zur Schule zu schicken. Meine Tochter wurde hier geboren, und wir leben seit 4 Jahren in Makati, seit wir aus Kambodscha zurückgekehrt sind, also sind die Philippinen wirklich wie meine Wahlheimat. Mein Tagalog ist jedoch wirklich schrecklich, und ich fühle mich deswegen schon ein wenig schuldig!

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